170319 bahnfahrt

170319 bahnfahrt



ich schreibe gern zwischen tür und angel, in letzter minute, auf bahnsteigen, bevor ich wieder zuklappen muss. ich muss zuklappen,  denn ich schreibe auf tastatur mit bildschirmdeckel, auf der man die fingerchen noch schön flitzen lassen kann bei aufgelegten handballen. warum muss der mensch freiwillig wichtigen komfortstufen entsagen und sich auf klein-klein einigen?

neben mir einer, der mit led-lämpchen an klein-klein im müll stöbert. das passt genau zusammen. möglicherweise ist das die öko-kontrolle. wenn das so ist, häufen sich in der letzten viertel stunde um mich herum die kontrollen. ich sitze erst seit ein paar minuten in diesem ice und schon examiniert man meine fahrkarte. diesen selbst ausgedruckten zettel mit einem kontrollquadrat, das der schaffner rot anleuchtet. abscannt sagt man. guten tag meine damen und herren...technischer defekt...im vorderen zugteil kein w-lan. mal sehen...ja, es hat geklappt. die fahrkarte ist wider erwarten gültig,...man darf die bestimmungen des fly and rail wohl doch nicht zu ernst nehmen. da heißt es, dass man nach dem flyen gleich am nächsten tag railen muss, ich raile aber erst heute, fünf tage später. überwachen und strafen. ich werde zwar überwacht aber nicht gestraft.

es ist regnerisch, ein teil der plastikverkleidung im abteil ist nicht gut angeschraubt, bei einer bestimmten geschwindigkeit zwitschert ein seltsames vögelchen, eine aufgeregte schnatterente.

viel unterschied spüre ich nicht von zugreise zu zugreise. die menschen sind friedlich und tippen auf ihren maschinchen wie ich auf meinem. genauer: sie wischen, ich tippe. ich habe mich schon immer in der öffentlichkeit wie ein fossil gefühlt. wenn ich mein denken vergleichen könnte mit dem der anderen in meinem zugabteil, würde sich mein fossil-gefühl noch verstärken. und wenn schon.

das aufregendste ist neben dem plastikgezappel und den sanften stößen, die sich auf den ganzen körper übertragen, die vorbeiflitzende graubraune landschaft und das doppeltschnelle flitzen der züge im gegenverkehr. oder jetzt das genüssliche lachen eines gut genährten 11-jährigen schräg hinter mir gegenüber.

oder ist meine innere stimme aufregender? momentan gewiss nicht. sonst würde ich weder meine umgebung noch die geräusche des jetzt abbremsenden zuges wahrnehmen: köln, nein, außerplanmäßiger halt auf der brücke mit den abermillionen vorhängeschlössern. den abermillionen versprechungen, sich andeinander zu ketten.
auf dem sitz neben mir liegt meine laptop-tasche und links am haken hängt meine neue lederjacke.

kann man ein buch schreiben mit dem einzigen inhalt, dass man beobachtet, wie ein fahrgast, den ich von schräg hinten auf seinem fensterplatz ein sandwich aus einer zerknitterten papiertüte mampfen sehe, zufrieden kaut?

seit köln habe ich einen mann auf meinem nebensitz. meine laptoptasche habe ich hinter meinem bildschirmdeckel verstaut. die atmosphäre hier hat sich mit einem mal völlig verändert. gerade, als ich sie beschreiben will, wird sie durch zwei lange ansagen unterbrochen. die erste von einer männerstimme über 8 minuten verspätung, die zweite von einer frauenstimme, die sich wie eine durchsage vor dem abflug einer lufthansa-maschine anhört. deren inhalt habe ich nicht verstanden. ich kann gut abschalten, wenn ich merke, dass ich nicht gemeint bin.

die veränderte atmosphäre. der sandwich-esser liest jetzt in einem buch, was sicher unwesentlich beiträgt. vor allem sind es die vielen fahrgäste, die in köln zugestiegen sind. ich komme mir vor wie bei einer großfamilie im wohnzimmer, wo der fernseher läuft. wie soll ich es nur beschreiben? hier läuft natürlich kein fernseher und schon gar nicht handelt es sich um eine großfamilie. vielleicht trägt das schnattrige entchen und das schaukeln des waggons zu dem familiären gefühl bei. wenn ich noch lange weitersuche, finde ich sicher noch mehr indizien. wahrscheinlicher aber ist es, dass sich beim nächsten halt meine wahrnehmung wieder verändert. siegburg-bonn. warum nur reisen so viele leute am samstag nachmittag? und nein, mein eindruck nach dem halt ändert sich wenig. etwas ratloser als zuvor kommt mir das abteil vor. aber auch etwas jungendlicher. hängt das nur damit zusammen, dass ich gerade den kopf hebe und einer jungen südländerin in die augen blicke?

eine frau besteht auf ihrem recht, ihren reservierten sitzplatz einzunehmen. ich werde in die stehbar verjagt und genehmige mir erst mal ein pils. hier ist es so ungemütlich, dass ich der einzige bin, der an einem der vier ovalen bistrot-tische, immerhin mit granit-platte, blut-rinne und erhöhtem rand, ausharrt. mein bitburger fläschen rutscht wie von geisterhand geschoben, unendlich langsam unter den vibrationen des zuges zum erhöhten rand. das glas bleibt stehen.die blutrinne hat kein bier zu stoppen. ich blicke auf den haltebügel unterhalb des tischovals gegenüber. er ist nur auf der seite der gäste, die nicht am fenster lehnen können, montiert und trägt zum vollendeten design des bordbistrots bei. alles ist gut durchdacht. die bedienung, die für die kinder im spielwagen am tischoval gegenüber twiggs abfüllt...es geht ja nur, weil es hier sonst keiner länger aushält. ich bin zäh und ich habe hier genügend schreibstoff.
DB warm und würzig kartoffel-lauch-eintopf mit rauchwurstscheiben 9,90€. ich vermisse das zwitschernde plastik. unten an der werbetafel: dazu empfehlen wir ein bitburger premium pils. wieder die stimme der frau aus dem fluggastraum. das rauschen des ice im tunnel erinnert an den schub beim start eines jets. die assoziationen eines menschenhirns: einfach köstlich...so lange es sich um mehr oder weniger belangloses handelt. restabfall, waste, déchets, rifiuti...

mir ist zu warm und die neue lederjacke etwas eng.

im spiegel...warum ist hier ein spiegel montiert? eine aufmerksame geste der db...im spiegel rast die landschaft gegenläufig, genauso schnell, etwas dunkler. die spiegelflächen sind getönt. frankfurt flughafenbahnhof.
vielleicht gehe ich wieder auf suche nach einem sitzplatz. nein, ich bin zu faul und ich steige auch bald aus. ein flugreisender mit weißen tennisschuhen lehnt in einer ecke und mir gegenüber lehnt jetzt ein cola-trinker. der herr übrigens, der mir mein pils brachte, heißt shorida. ich muss mal wieder meine kräfte zusammennehmen, um nicht abzurutschen. nicht nur hier von der wand bei beängstigend schräg gestellten beinen. bei meinen zwei bistrot-genossen sieht die steh-akrobatik entspannt aus.
ausgesprochen oft kommt die fahrkartenkontrolle vorbei. angenehme reise. tellerklappern. rütteln. mir ist schlecht. diese riesigen koffer überall. es gibt wohl mehr weltreisende als man glaubt. oder es gibt andere gründe, so viel mit sich rumzuschleifen. dürfte ich mal sehen, was sie da alles in ihrem koffer haben? amore! hinter dem bistrot ein mit gestreiften scheiben abgetrennter restaurant-bereich für 12 gäste. machen die anderen hier auch so sinnloses zeugs wie ich? der mir gegenüber hat schon vier fünftel seiner cola leer. die bedienung wenig zu tun. sie läuft wegen zwei leeren kaffeepötten hin und her. alle anderen spielen auf ihrem phone. es muss einfach sehr interessant sein. oder lauter drogis. ich frage mich, ob es für den geist gesünder ist, raus in die vorbeiflitzende landschaft zu starren. welchen input geben schrebergärten, waldstücke, industriebrachen, bahnschranken, graffitis, züge im gegenverkehr, weiden, äcker, buschwerk...im verhältnis zu...ja, ich weiß natürlich nicht, was die leute da anschauen. sie scheinen jedenfalls nichts zu produzieren. wirklich entspannt scheinen sie auch nicht zu sein. um kommunikation handelt es sich jedenfalls nicht. kommuniziere ich hier? vor der antwort werde ich unterbrochen, weil ich in die s-bahn nach heidelberg umsteigen muss. ich erreiche sie noch. hier drin ein anderes gefühl. man scheint näher an den schienen zu rollen. und das vögelchen ist weg.

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