181229 die dritte hochzeitsparty
ich
parke in einer knochensteinbucht. zwanzigster november. eine weile
bleibe ich benommen von der fahrt sitzen. "hochzeitsgast in einem roten
kleinwagen", geht es mir durch den kopf. dann stelle ich den motor ab
und sammle den mut, den ich brauche, um den kampf gegen die langeweile
in der fremden ferierrunde aufnehmen zu können. so sehe ich diesen abend vor mir und ich sammle also mut gegen mein vorurteil.
außer
der braut, die ich noch in diesem sommer geliebt habe, werde ich auf
lauter unbekannte treffen. nur der bräutigam ist mir schon einmal
begegnet. er ist es auch, der mir die tür öffnet.
knochensteinbucht,
fahlorangene strassenbeleuchtung, dekorglastür, ding-dong,
türöffnungs-surren, waschbetontreppe, tropic-furniertür, spion, ich bin
da.
mein gesammelter mut hilft. es
gelingt mir, freundlich und etwas verschmitzt zu lächeln. dann
übernimmt die braut im blauen samt, küsst mich, stellt mich
freudesstrahlend allen vor, reicht mir ein glas sekt. was nun?
ich
beuge mich übers buffet, recke den hals, taxiere wohlwollend und mit
der nase prüfend die speisen. ich gebe anerkennende laute von mir, denn
sicher schmeckt alles hervorragend. am buffet ist der beste hafen für
verlegene oder konversationsmüde. hat mich mein mut schon so früh
verlassen?
im heruntergedimmten licht
wird mein interesse am gäste-oval, das den teppichboden und ein paar
leere gläser in seiner mitte anstarrt, kaum gefördert. auch ich starre,
an die wand gelehnt, auf die münder im oval, aus denen undeutlich
artikulierte laute zaghafter zwiegespräche in meinen ohren verschwinden.
ich grüsse nickend und wortlos, wenn
mich ein blick trifft und versuche durch ein waches mienenspiel
neugierde zu wecken. aber schon schwindet mein interesse an den
menschen im kreis und mein blick schweift in die höhe gegen eine
vorhangstange, vielleicht weil ich dort mehr schönheit oder auch nur
mehr helligkeit vermute.
es fehlen
stühle. um ein gespräch anzufangen, könnte ich mich vor einem besetzten
stuhl niederknien und guten abend wünschen, bleibe aber an die wand
gelehnt stehen, entdecke neben mir den dimmer und drehe so unmerklich
wie möglich das licht etwas heller. das stimmuliert wie das
morgengrauen.
schließlich wird ein
stuhl frei. ich setze mich. meine nachbarin ist eine kleine, stämmige
frau mit tiefliegenden, dunklen augen. wir finden im gespräch einen
gemeinsamen bekannten, einen mir äußerst unangenehmen menschen, mit dem
sie früher einmal verheiratet war. für einen kurzen moment gelingt es
mir, eine verbindung zwischen dieser frau und jenem mann herzustellen.
es bleibt aber eine sehr vage ahnung, die mit der lüsternen stummheit
am ende ihrer sätze zu tun hat.
eine
abiturientin mit rundem gesicht und großen augen stellt sich mit paula
vor und ich erfahre, dass sie geige spielt. ihre mutter ist hübsch,
naiv und wirkt etwas anzüglich. auch der vater ist da. die drei sitzen
am boden vor der balkontür und rauchen.
es
fehlen immer mehr stühle. viele gäste sitzen inzwischen im
kinderzimmer auf den betten von alice, anna und abel, die den früheren
bräutigamen zu verdanken sind und merkwürdigerweise wie auch der
jetzige und ich selbst alle rainer hießen. ob nun mit ai oder ei, das
weiß ich allerdings nicht.
paulas eltern müssen oft aufstehen und draußen vom balkon getränke herein holen. ich sage:
"aha, die champagner-cherubim"
später
werden ansprachen gehalten und gedichte vorgetragen. dann verabschiede
ich mich, nicht ohne zuvor das licht wieder sacht ein paar grade
düsterer werden zu lassen.
die treppe
hinunter denke ich zwischen hallenden abschiedsrufen: "auf ein neues,
blausamtene braut". und auch in meinem roten kleinwagen noch: "auf ein
neues, königin aller blauäugigen namensvettern !"
wohin trägt mich mein kleines rotes auto als nächstes?
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